Guter Geist
 
Paul liebt Fußball. Mehr als mein Leben, sagt er, liebt er den Fußball. Vor jedem Spiel seiner Mannschaft geht er in seine Lieblingskirche und zündet eine Kerze an. Mindestens eine. Lieber Gott, sagt er, lass meine Jungens gewinnen. Ein paar Minuten sitzt er dann in der Kirche vor dem Kerzenständer und betet still. Den Schal seiner Mannschaft trägt Paul dabei um den Hals gewickelt. Leise flüstert er immer wieder: Bitte, bitte. Dann geht er vor die Tür und schaut in den Himmel. Aber nicht zum lieben Gott, sondern zu seiner Frau. Die ist vor drei Jahren gestorben, ganz plötzlich. Die beiden waren über vierzig Jahre verheiratet und hatten noch viel vor mit und ohne Fußball. Das Gartenhaus ausbauen; die Enkel besuchen, wenn kein Spiel ist; im Stadion Karten abreißen. Aber dann wird Pauls Frau von heute auf morgen krank und stirbt. Immer wieder schaut er in den Himmel und weiß, dass seine Frau auch zur Mannschaft hält und beim Gewinnen hilft. Sie ist ja jetzt ein Engel, denkt er, und Engel müssen helfen. Bitte, bitte, sagt Paul wieder.
Und dann verliert seine Mannschaft. Und zwar deutlich. Paul ist am Boden zerstört. Die Kerze in der Kirche, das Gebet zum lieben Gott, die Blicke in den Himmel, wo seine Frau ein Engel ist – nichts davon hat geholfen. Lieber Gott, sagt Paul vor seinem Gartenhäuschen, wo er mit ein paar Freunden das wichtige Spiel geschaut hat, was soll ich denn jetzt noch glauben? Nicht einmal fragt er das, sondern viele Male nacheinander. Seine ganze Welt ist aus den Fugen. Paul liebt Fußball mehr als sein Leben, sagt er. Und jetzt die Niederlage in einem Spiel, wo es um fast alles ging. Da bricht noch mehr zusammen als nur die Welt. Da liegt auch Pauls Glaube in Trümmern. Was soll ich jetzt glauben, sagt Paul den ganzen langen Abend lang. Sein Vereinsschal hängt wie auf Halbmast um seinen Hals. Tränen gibt es, und immer wieder der Blick zum Himmel, ob denn nicht wenigstens seine verstorbene Frau, also der Engel, hätte eingreifen können. Witwer Paul ist traurig, ratlos, fassungslos. Er hat doch nichts in seinem Leben außer Fußball und Gott. Er hat sich so auf den lieben Gott verlassen. Und jetzt will Gott ihm noch den Fußball nehmen?
Nein, sagt Paul, das darf nicht sein. Aufgeben kommt nicht infrage. Beim Spiel am Wochenende, denkt er kurz vor dem Einschlafen, will ich in meiner Kirche zwei Kerzen anzünden. Neues Spiel, neues Gebet. Und will noch länger beten. Und natürlich: noch öfter zum Himmel schauen. Dahin, wo sein Engel ist.