Nachrichten und Nachdenkliches

Gedanken zum Ewigkeitssonntag

Blicke ins Jenseits

Wer das berühmte Bild der „Sixtinischen Madonna“ betrachtet, schaut direkt in den Himmel. Der Vorhang ist weit offen, Maria steht mit dem Kind über den Wolken. Zwei Engel, die eher wie Lausbuben mit Flügeln aussehen, schauen ein wenig gelangweilt irgendwohin – sie wissen schließlich, wie es über den Wolken aussieht. Reste des Irdischen sind in den Anbetenden zu erkennen, die Züge von Papst Sixtus II. und der heiligen Barbara tragen sollen.

Ursprünglich wurde das Bild für den Hochaltar der Klosterkirche San Sisto in Piacenza geschaffen und von Papst Julius II. in Auftrag gegeben. Die Kapelle ist dem heiligen Sixtus geweiht, darum der Beiname „sixtinisch“ für das Madonnenbild. August III. von Polen-Sachsen, ein großer Kunstsammler, kaufte das Bild 1754 und ließ es in seiner Sammlung ausstellen. Im Zweiten Weltkrieg wurde es zum Schutz in einem Eisenbahntunnel versteckt. Nach dem Krieg wurde das Gemälde von der sowjetischen Siegermacht als Beutekunst beschlagnahmt, aber 1955 an die DDR zurückgegeben.

Das Bild ist, so prächtig es gestaltet ist, von einer eigentümlichen Schlichtheit und Klarheit. Besonders bemerkenswert ist, dass die beiden Engelchen am unteren Bildrand weitaus berühmter sind als das ganze Bild. Das Jenseits ist für uns vor allem wegen der Engel vorstellbar.

Wer lebt, sucht nach dem Himmel. Zu vielen Gelegenheiten im Leben meint man, den Himmel zu spüren. Wenn man sich sein Leben nicht mehr durch eigenes Geschick oder Leistung erklären kann, sucht man nach Spuren oder Zeichen des Himmels. Bei der Geburt eines Kindes, bei dem Geschenk der Liebe, beim Begräbnis eines Menschen. Wenn Menschen nicht mehr weiterwissen, sucht man Erklärungen. Wenn die eigenen Kräfte es nicht gewesen sein können, kommt der Himmel ins Spiel. Und die Frage: Was hat der Himmel mit mir vor?

Oft fehlen uns Antworten. Manchmal dauert es, bis ich Zusammenhänge erkenne oder Winke des Himmels deuten kann. Das geht jedem Menschen so. Wichtig sind auch nicht vorschnelle Antworten, sondern ernste Fragen. Zu den ernsten Fragen gehört auch diese: Hat Gott einen Plan mit mir?

Die Frage ist nur schwer zu beantworten. Vermutlich gibt es im Himmel kein übergroßes Buch, in dem Pläne für jeden einzelnen Menschen aufgeschrieben sind, die dieser Mensch dann Stück für Stück abzuleben hat. Wir sollten uns darum besser von dem Wort „Plan“ verabschieden. Das Wort und sein Inhalt sind zu starr, zu unlebendig für das, um was es hier geht. Es geht ja um das Leben, um etwas Lebendiges. Zugleich geht es um den lebendigen Gott und nicht um einen Gott, der Pläne für uns schmiedet und täglich daran festhält. Viel wichtiger als die Frage nach einem Plan ist darum die Frage, die Menschen zutiefst bewegt: Ist Gott bei mir in dem, was mir geschieht?

Die Antwort des Bildes von der Madonna ist eindeutig: Ja. Hinter dem in diesem Augenblick weit geöffneten Vorhang, bei unseren Blicken ins Jenseits, erkennen wir die Mutter Gottes, die ihr Kind trägt und beschützt. Die Madonna ist hier ein Bild im Bild. Sie steht für den Schutz des Himmels. Zwei Irdische befehlen sich diesem Schutz an. Der eine schaut Maria direkt an, die andere schaut scheu weg. Hingewendet an die beschützende Madonna sind beide.

Auch wenn wir diesem Figurenpaar nicht so nahestehen sollten, gibt es ja noch die Engel am unteren Bildrand, die ich lieber Engelchen nenne – oder Lausbuben mit Flügeln. In ihrer heiligen Langeweile liegt auch die Gewissheit, dass man im Himmel gut aufgehoben ist – und wir alle hinter den Vorhang ins Jenseits gelangen werden, in das wir heute schon hin und wieder blicken dürfen in begnadeten Augenblicken.

In diesen Tagen um den Totensonntag ist vielen oft seltsam zumute, wenn sie an den eigenen Tod denken und daran, nicht mehr da zu sein. Das ist verständlich. Dann möchte man gerne in „Mariens Schoß“ sitzen oder sich dem Heiland in die Arme legen. Das können wir.

Wir können dieses oder andere Bilder anschauen und ein wenig ins Jenseits blicken. Wir können biblische Worte wie den Psalm 23 hören oder lesen und wunderbare Strophen sprechen oder singen (EG 503,15). Vor allem eins aber können wir immer: Bei jedem Hauch von Liebe, der uns umgibt, blicken wir auch ins Jenseits.