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Der Sehnsucht nachgehen – eine Andacht

Der Sehnsucht nachgehen

Noch ein paar Schritte, dann weitet sich der Blick. Hinaus aus dem Gang durch die Türe. Die Sonne strahlt schon herein in die alten Gemäuer des Schlosses. Sie zeigt den Weg, den ich zu gehen habe, dem Licht entgegen. Draußen vor der Türe erkenne ich die Bäume des Schlossgartens, draußen weitet sich der Blick über das spätsommerliche Flusstal. 

Doch noch muss ich sie aushalten, die Beengtheit. Noch sind Schritte zu gehen durch den Gang, der von draußen erhellt wird. Hinter mir lasse ich den bergenden Schlosshof mit den schützenden Mauern. Hinter mir lasse ich das, was ich kenne, und das, worin ich mich auskenne. Was werde ich sehen, wenn ich an der Türe stehe? Wohin wird der Weg gehen, der mich vor der Türe erwartet?

Und doch, die Neugierde lässt mich weitergehen – und auch die Sehnsucht: Die Sehnsucht, das Bekannte, das Bergende, aber Beengende hinter mir zu lassen und das Weite zu suchen. Ich spüre, ich muss die Schritte tun ins Ungewisse, wenn ich weiterkommen will im Leben, wenn ich mich weiterentwickeln will. Aufbruch ist angesagt.

Sehnsucht treibt mich voran. Ein paar Augenblicke nehme ich mir Zeit für Abschied und Aufbruch. Was wünsche ich mir denn für mein Leben, für meine Zukunft, für die Zukunft meiner Kinder und der Menschen um mich herum, für die Zukunft unserer Gemeinde?

Ich merke, wie sich die uralten Sehnsüchte der Menschheit in mir zu Wort melden. Glück, Liebe, ein Leben in Freiheit. Der Wunsch, heil zu bleiben an Leib und Seele, gesund und beweglich. Der Wunsch in heiler Natur mit ausreichend Mitteln zum Leben und in Frieden leben zu können.

Ich spüre aber zugleich, dass diese Sehnsüchte bedroht sind und bedroht werden. Ich spüre, dass die Sehnsucht nach heiler Welt nicht in Erfüllung gehen muss. Weder für mich persönlich noch für unser Land, unsere Kirche oder die Welt. Garantien für ein gelingendes Leben haben wir nicht. Scheitern gehört zu meiner, zu unserer Existenz. 

Ich spüre die Bedrohungen und weiß zugleich: Seelische Belastungen können krank machen. Innere Nöte schlagen auf die Gesundheit. Die nötigen Veränderungsprozesse in den Kirchen machen Sorge, weil Vertrautes auf dem Spiel steht. Ich spüre aber auch: Der Rückzug in die Schlossmauern ist keine Alternative. Zu sehr lockt der Blick in die Weite, die Sonne, das Licht.

Was könnte mir Kraft geben für den Aufbruch und Mut für das Weitergehen? Mein Blick geht die Mauer des Ganges entlang und fällt auf die Christusfigur an der Wand. Hier, zwischen drinnen und draußen, hier im Übergang finde ich das Zeichen, dass ich nicht alleine unterwegs bin. Nicht alleine mit meinem Sehnen nach einer besseren Welt und einem gelingenden Leben. Nicht alleine mit meinem Scheitern. Nicht alleine mit meinen Sorgen und Ängsten. 

Zwischen drinnen und draußen Christus, der mich mit ausgestreckten Armen am Kreuz begleitet. Im Übergang der, der alle Sehnsucht nach Heil mit mir teilt und der schon in den verlassensten Orten überhaupt gewesen ist. Er ist an der Seite, an meiner Seite auf dem Weg zwischen Vergangenheit und Zukunft, auf dem Weg zwischen Bekanntem und Erhofften. Der Blick auf die Seite gibt Kraft, macht Mut zum Weitergehen und hält die Sehnsuchtsbilder am Leben. Dieser Blick auf die Seite gibt Hoffnung, dass sich diese Sehnsucht erfüllen wird.

Ein paar Schritte noch, dann bin ich draußen. Ein paar Schritte noch und in mir klingt leise die Melodie eines neuen Kirchenliedes an: „Dass du Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir. Wir hoffen auf dich, sei da, sei uns nahe, Gott“.