Nachrichten und Nachdenkliches

Der 3. Blick: Eine Sommerandacht

Auf den ersten Blick: ein eigenwilliges Bild; und, natürlich, ein gestelltes Bild. Hier will uns jemand etwas zeigen und erzählen. Schauen wir also genau hin und überlegen wir, was das alles soll.

Eindeutig ist Sommer. Sattes Grün der Büsche und Wiesen, sanft milchiger Himmel. Die Natur gibt sich freundlich. Keine Bedrohung, nirgendwo. Zwischen den Büschen hindurch könnte man in ein Tal blicken, vermutlich auf ein paar Mauerreste und vielleicht auf einen Teich oder See. Könnte …, denn der Ausblick ist verstellt. Direkt im Blick steht eine große Leinwand, mit Seilen an zwei schmalen Pfählen befestigt. Die Leinwand stellt sich uns in den Blick, absichtlich. So verlangt sie, dass wir auf sie schauen, auch wenn wir nicht wollen und lieber in die Ferne auf den See schauen würden. Das können wir nicht, weil die Leinwand sich in den Weg stellt und gesehen werden will. Nein, nicht allein die Leinwand will gesehen werden. Sie steht auch da, weil sie uns etwas zeigen will: eine Wolke. Und wie wir noch die schöne Wolke betrachten, erkennen wir, dass wir auch durch die Leinwand wieder hindurchsehen können auf das, was im Tal wie ein See aussieht und, linkerhand, wie Mauerreste. 

Auf dem Bild ist also viel zu sehen. Zugleich verstellt etwas unsere Blicke – und auch da können wir wieder hindurchsehen. Das Foto spielt mit unseren Augen und Blicken. Wir sehen, dann hindert etwas unser Sehen, wir sehen etwas anderes und sehen zugleich durch das andere hindurch.

Ein Hinsehspiel also. Ein gepflegtes Durcheinander an Bildern vor unseren Augen. Was soll das? 

Es soll uns Hinsehen lehren. Nichts ist, wie es erscheint. Noch nicht einmal die Natur, die oft nur eindeutig da zu sein scheint. Unsere Augen sollen stolpern, sozusagen. Das gelingt der Fotografin mit einem kleinen Trick: Etwas verstellt uns den Blick. Wir sehen die schöne Wolke auf der Leinwand – zugleich schauen wir da aber auch wieder hindurch und sehen etwas verschwommen, was wir ohne die Leinwand genauer sehen würden: See und Mauerreste.

Weil nichts ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, sollen unsere Augen ein wenig stolpern und aus vielen Blicken zusammensetzen, was hier los ist. Und: Auf einen Blick sehen wir auch viel mehr, als wir normalerweise sehen können: Wir sehen Erde und Himmel zugleich. Wunderbar, nicht wahr? 

Manchmal muss man etwas lange anschauen, um einen Sinn zu erkennen. Dieses Bild ist ein Bild aus vielen Bildern. Meistens genügen ein erster und zweiter Blick nicht, um einer Wahrheit auf die Spur zu kommen und etwas zu verstehen. Dann hilft ein dritter Blick. Anders gesagt: Vorsicht vor dem ersten Blick. Er könnte täuschen; sogar der zweite Blick kann das noch. Dann hilft ein dritter Blick. Nichts ist, wie es uns erscheint. Schnelles Hinsehen kann trügen. Etwas zu verstehen ist ein schwieriger Vorgang, den wir uns nicht zu leicht machen dürfen. Es hilft dann, in Ruhe ein ums andere Mal hinzuschauen, um einen Sinn zu erkennen.

Für dieses Bild heißt das: Lass dich verwirren, lass deine Augen ruhig stolpern. Wer die Einzelheiten zusammensetzt, gewinnt ein ganzes Bild. Das erzählt uns: Alles ist immer mehr, als es scheint. 

Was wir sehen, ist meistens eine Oberfläche. Um etwas wirklich zu verstehen, müssen wir es von allen Seiten betrachten und dabei auch in seiner Tiefe bedenken. Nichts täuscht uns leichter als eine Tatsache. Wahrheit ist mehr als Tatsachen und Oberfläche, mehr als der erste Blick. Wahrheit ist manchmal erst der dritte genaue Blick.

Wer nur glaubt, was er sieht, lässt sich schnell täuschen und will sich vielleicht auch täuschen lassen. Gott ist nicht in den Tatsachen. Meist ist er dazwischen oder dahinter. Das erkennen wir besser mit einem geduldigen dritten Blick. Glaube ist mehr als schnelles Sehen. Glaube ist geduldiges Hinsehen und Nachdenken – mit einem alten Wort: Nachsinnen; Hinschauen mit allen Sinnen. Alles ist immer mehr, als es scheint. Meist zeigt erst ein dritter Blick, wie es um uns Menschen wirklich bestellt ist. Je mehr uns gelingt, desto mehr wurden wir beschenkt. Hinter dem, was wir sehen, wartet Gott, dass wir ihn erkennen.