Nachrichten und Nachdenkliches

Andacht: Aller Augen…

Ein Blick  auf die Bühne. Gleich heißt es wieder „Vorhang auf“! Oder besser: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ Die Kirche ist bis auf den letzten Platz besetzt. Die Kulisse steht: Rechts der leuchtende Weihnachtsbaum, links der Herrnhuter Stern. Im Vordergrund markiert das Stoffschaf den Ort, an dem später die Hirten ihre Herden hüten. Zur Aufführung kommt wie alle Jahre wieder „Das größte Drama aller Zeiten“ (nach Dorothy L. Sayers): Die Menschwerdung Gottes.

Jahr für Jahr erzählen Krippenspiele die alte Geschichte. Die Faszination für die Geschichte, die jeder kennt und von der Kirchennahe und Kirchenferne nicht genug hören und sehen können, ist ungebrochen. Das Krippenspiel ist der Publikumsmagnet am Heiligen Abend. Konfirmandinnen und Konfirmanden schlüpfen in die Rolle von Josef und Maria, Hirten und Königen. Seit 1223, so wird vermutet, erzählen sich die Gemeinden auf diese Weise die Frohe Botschaft. Damals soll der Franziskanermönch Franz von Assisi sie erstmals inszeniert haben.

Gottesdienst und Theater – geht das zusammen? Die Christen der Antike lehnten das Theater ab, weil es heidnische Götter auf die Bühne brachte. Im Mittelalter stand es dann ganz im Dienst der Kirche. Oster- und Passionsspiele mahnten die Menschen, ein gottesfürchtiges Leben zu führen. Während der Aufklärung emanzipierte sich das Theater von der Religion und schuf sich eigene Häuser, in denen es Kirche und Glauben auch infrage stellte.

An Heiligabend kommen viele Menschen so in unsere Krippenspielvespern, als gingen sie ins Theater. Sie verhalten sich mehr wie Zuschauer als Mitfeiernde, zu unvertraut ist ihnen der Gottesdienst. Trotz bekannter Weihnachtslieder und Gebete singen und sprechen nur wenige in der vollen Kirche mit.

Da stellen sich bei kirchlich „Verbundenen“ und durchs ganze Jahr hindurch in der Gemeinde Engagierten oft zwiespältige Gefühle ein: Ist unser Gottesdienst am Heiligabend für die vielen nicht nur Teil der Inszenierung eines Weihnachtsfestes, das nicht mehr die Menschwerdung Gottes feiert? Sondern eines Festes, das „nur“ die Familien zusammenbringen, Kindheitserinnerungen und nostalgische Gefühle wecken soll und dessen eigentliche Höhepunkte das Festessen und die Bescherung unterm Weihnachtsbaum sind? Der Kirchgang davor diente dann der Spannungssteigerung bei den Kindern bis zur Bescherung und hielte den fleißigen Hausfrauen und Hausmännern zu Hause den Rücken frei. Maria, Josef und das Kind wären dann nur Teil weihnachtlicher Folklore wie der Weihnachtsmann und Rudolf, sein rotnasiges Rentier.

Also alles „nur“ Theater?

Schaue ich auf dieses Foto, überträgt sich eine ganz andere Stimmung, die ich in unseren Gottesdiensten an Heiligabend oft erlebe und teile: Menschen, die zur Ruhe gekommen sind; in großer Konzentration auf das Wesentliche. Bereit, sich der Botschaft zu öffnen und vom weihnachtlichen Frieden beschenken zu lassen.

Der Gottesdienst ist nicht Theater. Aber es gibt Analogien. Das Wort „Theater“ hat seine Wurzel im Altgriechischen: „Schaustätte“; von „anschauen“. Damit wird die szenische Darstellung eines inneren und äußeren Geschehens bezeichnet. Auch unsere Kirchen sind „Schaustätten“, in denen ein inneres und ein äußeres Geschehen dargestellt wird: die Heilsgeschichte Gottes mit der Welt. Und damit immer neu auch die Glaubensgeschichten der Menschen, die kommen und schauen. Anschaulich wird das Geheimnis des Lebens.

Also Vorhang auf: „Aller Augen warten auf dich, Herr.“